Mario Pérez
Peter Nathan - Zürich, 1996
Galerist und Sammler
Kolumbien ist das Land, das uns, die wir im alten Europa verwurzelt sind, neue
Erkenntnisse und ein uns unbekanntes Lebensgefühl vermittelt. Glücklich familiär mit
diesem Land verbunden, haben wir die Gelegenheit, seinen Geist und seinen Rhythmus
tiefer zu erfassen als Bummler und Ferntouristen..
Tiefen Einblick in Kolumbiens Schönheit vermitteln uns die Bilder von Mario Pérez.
Langsam sind sie gewachsen - wir fühlen es - und mit dieser Langsamkeit verbinden
sich Harmonie und Festigkeit. Wer braucht in Villa de Leyva, wo Mario geboren ist, und
wo die meisten seiner Bilder entstanden sind, eine Uhr? Hat einer eine, kann er sie
beiseite legen. Und als ob er damit der Langsamkeit, dem Beständigen, noch einen
besonderen Ausdruck geben wollte, fehlen in Marios Bilder selten die Steine. Steine
sind der Halt seiner Bilder; sie wirken jeder falschen Leichtigkeit entgegen.
Mario gibt das Zeitlose, das Atmen einer Landschaft, wieder, das, was sie uns in der
Erinnerung lieb macht.
Zur amerikanischen und europäischen Kunst unserer Tage ist keine Brücke zu schlagen.
Wir sind aufgefordert, eine Gangart und einen Rhythmus, die uns verloren gegangen
sind, wiederzufinden. Wir werden an Corot, Courbet und Daubigny erinnert, die unsere
rasenden Uhren noch nicht kannten. Wir, in unserer vorwärtsstürmenden Welt, haben
seither Dutzende von Stationen durcheilt, so schnell, dass wir heute kaum wissen, wo
uns der Wirbel noch hinträgt ...
Glücklich der, der nicht im rasenden Zug der westlichen Welt sitzt, der abseits sich dem
Einklang von Seele und Natur hingeben und aus solcher Quelle schöpfend, gestalten
kann.
Marios Bilder haben eine starke Gegenwart; hat man sie einmal erfahren, kann man sich
ihnen nicht mehr entziehen. Er hat keine Akademien besucht, Theorien sind ihm fremd.
Er malt von innen heraus, so, wie er muss, und wenn wir Europäer den Klang des
19. Jahrhunderts in seinen Bildern spüren, so sind das keine bewussten Anknüpfungen,
sondern seelische Wahlverwandtschaften. Tiefe und Klarheit sind Marios Grundtenor; es
ist wunderbar mit Marios Bildern zu leben.
Und Mario kann uns überraschen. Setzen wir unseren Rundgang fort, so sind wir
plötzlich gepackt von einem Stier, gesattelt, mit mächtig geschwungenen Hörnern.
Festgebunden an einem Nasenring, lässt er ein Ohr hängen und auch sein Blick; seine
gequälte Seele hat sich ins Schicksal ergeben. Das ist das Wunderbare an Marios
Kunst - wir ahnten es in den Landschaften - doch hier kommt es noch ergreifender zum
Ausdruck: er ist fähig, die Wirklichkeit, die wir alle kennen, in ihrem tiefsten Wesen zu
erfassen, sie zu intensivieren und bleibend zu gestalten. Er sieht die Schönheit, das
Wesen dessen, an dem wir achtlos vorbeigehen; verdichtet schenkt er uns die Natur
zum zweiten Male.
Überrascht sind wir auch durch einen Waschtisch mit daneben hängendem Handtuch,
darüber als Farbintermezzo ein Kasten. Dabei erinnern wir uns an ein Eisentor, einen
Balkon über einer abbröckelnden Mauer oder nur an einen einzelnen Stein. Marios
Pinsel vollzieht mit jedem Gegenstand eine Metamorphose. Das Gewöhnliche wird
behaltenswert, erhält Würde und Dauer.
Marios Bilder wollen entdeckt werden. Schönheit begegnet uns jeden Augenblick -
Mario gelingt es, sie festzuhalten.
Leer ....
Die Weihe des Raumes
Paul Pfister – Zúrich, 2004
Restaurator Kunsthaus Zürich
Wie soll man von etwas berichten, von dem, wagt man es zu betrachten, alles eingesaugt
wird. Aus Albträumen entlassen kennen wir das in Räume eingesaugt werden, die sich
unerbittlich verengen.- Hier ist es allerdings umgekehrt! Im Geviert von Bildrändern öffnen sich
bisher ungeschaute Weiten, obwohl sich diese an Gegenständlichkeiten zu durchmessen
scheinen. Was ist geschehen? - Wir sind den Werken von Mario Pérez begegnet!
Es ist die schmerzliche Erfahrung unserer Zeit, feststellen zu müssen, dass wir über die
Räume zu verfügen glauben, indem wir sie durchmessen. Immer tritt dann das Erleben der
unausgesetzten Schrumpfung des Lebensraumes vollends ins Bewusstsein. - Angesichts
dieser Gemälde entzieht sich nun jede Begrenzung nach der Tiefe hin, wobei die
Bodenhaftung ausbleibt, die eine traditionelle Bildarchitektur überliefert hätte. Man erfährt die
Landschaft einem Tiefflug ähnlich, wobei wir uns zu hüten haben, in Bodenfühlung zu
gelangen. Das Zerschellen in der Materie wäre die unausbleibliche Folge.
Malerei, von Landschaftsmalerei nicht zu sprechen, ist totgesagt. - Welch eine
Vermessenheit, sich zu erheben, um aus geborstenen Weltbildern eine neue
Gegenständlichkeit durchsetzen zu wollen! Früher hätte man zu einem ähnlichen Ereignis
gesagt „Blümchen sind aus dem Winterschlaf erwacht“. Der Zeitgenosse muss dazu sagen
„Frechheit!“. Hier treten plötzlich Monumente von Bildern auf, die uns Betrachter
überschwemmen, als seien wir zum letzten Mal des Geschenks von inhaltsvollem Raum
würdig.
Raum war das Privileg freier Geister. - Wozu brauchen wir Messbänder und Theodolite? Will
sich die Menschheit noch mehr Gefängnisse bauen, und dies selbst mit ihrem Denken, ihrem
Sehen? - Es predigen doch die Religionen zu hören und zu glauben, um das Leben so zu
durchmessen, damit wir die Gitterstäbe nicht sehen müssen.
Wenn schon die Landschaftsmalerei die Religionen* ersetzen soll, dann fragt man, ob das
nicht schon längst geschehen sei. Realismus, Impressionismus, die neue Sachlichkeit sind
vorbei und das Paradies ist noch weiter fortgerückt.- Das Abendland spricht unablässig „Dein
Reich komme“. Wir alle aber wünschen dieses Reich raumsparend ins Jenseits.- Sei er noch
so klein, hier wollen wir den verbleibenden Raum erobern, mit Flugzeugen, Bohrmaschinen,
Pumpen und Pinseln!
Wohin der Zeitgenosse sich wendet, er steht vor Wänden. Dauer und Luft haben sich
beinahe ganz verabschiedet. - Aber durch die Hinwendung an die Schönheit einfacher und
überwältigender Erscheinungen beginnt Licht zu wachsen, erst unmerklich, bald drängend,
fähig alles mit Sinn, Zeit und Luft zu füllen.
Besteht etwas, das nicht auf Ausdehnung und Schrumpfung angelegt ist? - „Mach dich
dünn“ bedeuten die Grüsse heute fast für Jedermann. - Und wo sind die schönsten
Erklärungen geblieben, die heissen konnten: „Aufs höchste erfreut mich die Ausdehnung
deines Wesens“! Aus Liebe sind sodann die Pinselzüge und Spachtelhiebe zu setzen, auf
dass das All nicht ende! Die hintereinander geschichteten Oeffnungen dehnen das Schauen
zum Sehnen nach endloser Zeit und demnach zur Erfüllung bisher nie eingelöster
Verheissungen. Jedes Bild wird hier zum Klang.
* Philipp Otto Runge schrieb im Februar 1802 an seinen Bruder Daniel: „Wir stehen am
Rand aller Religionen,...es drängt sich alles zu Landschaft, ...wir erleben die schöne Zeit
dieser Kunst wohl nicht mehr, aber wir wollen unser Leben daran setzen, sie wirklich und
in Wahrheit hervorzurufen“.
Leer ....
Eloge des Horizontes
Zur Landschaftsmalerei von Mario Pérez
Konrad Tobler, Bern 2008
„Eben erst durch die Kunst wird der Sinn für die Natur wahrhaft aufgeschlossen“
Carl Gustav Carus
Kolumbien muss ein weites Land sein, mit einem weiten Horizont und einem grossen, starken,
einem hohen Himmel. Wolken verdecken da und dort die Sonne. Wenn die Wolken schwer über der
Landschaft liegen, scheint sich Regen anzukündigen. Einige Berge ragen nicht hoch auf, sind eher
flach, trennen Himmel und Erde. Man riecht die Landschaft, hört Geräusche. Man würde
stundenlang gehen können und keinen Menschen treffen, nur den Wechsel der Tages- und
Jahreszeiten erlebend, in den Nachthimmel sehend, den Sonnenaufgang erlebend, vor einem
Gewitter flüchtend.
So also sieht es in den Weiten der Anden aus, 2143 Meter über dem Meer, in der Umgebung von
Villa de Leyva. War ich also doch schon einmal in Kolumbien, diesem Land, über das ich vor allem
in der Tagespresse gelesen habe?
Ich kann mit den Augen dorthin reisen – und dort sein, als wäre ich wirklich dort. Das ist der
intensiven atmosphärischen Präsenz der Gemälde von Mario Pérez zu verdanken. Er scheint mit der
Landschaft, die er malt, verwachsen. Er kennt sie in allen ihren Nuancen und Wechseln. In Villa de
Leyva ist er aufgewachsen und kehrt, mittlerweile im Tessin lebend, immer wieder dorthin zurück.
Die Landschaft hat ihn – und er hat die Landschaft. Er teilt mit ihr den Horizont, der immer und
immer wieder seine Kompositionen bestimmt, ob in Kolumbien oder im Tessin, wo er die Berge -
ist es ein Reflex der kolumbianischen Landschaft? - nicht als wuchtige Massive, sondern mit einer
gewissen Sanftheit malt
Es liesse sich leicht behaupten, Pérez sei ein Romantiker. Seine menschenleeren, nie jedoch öden
Landschaften erzählen von Zeitlosigkeit. Sie sind Metaphern für einen Zustand der Schöpfung, in
die der Mensch noch nicht eingegriffen hat. Dabei sind die Gemälde keineswegs metaphorisch
angelegt, vielmehr malt der Künstler vor Ort. In dem Sinn ist er ein Naturmaler, ohne deswegen
Naturalist zu sein. Denn dagegen spricht, in der Reihung der Gemälde, das Konzept, dass es der
Horizont ist, der das Bild und seinen Aufbau bestimmt. Dagegen spricht auch, dass den Maler
bestimmte Stimmungen mehr interessieren als irgendwelche Details.
Also doch ein Romantiker, zumindest jedoch im besten Sinne des Wortes ein Traditionalist, auch
was das Handwerk betrifft. Er setzt eine Tradition der kolumbianischen Malerei fort, die durch
Namen wie Eugenio Peña, Ricardo Borrero Alvarez und Jesus Maria Zamora geprägt zu sein
scheint. Und seine Bilder erinnern in ihrer symmetrischen, nie aber geometrisch strengen
Komposition und und der manchmal geradezu dramatischen Lichtführung auch an Caspar David
Friederich, wenngleich Pérez wesentlich grössere Formate verwendet und so die Landschaft
weniger zu einem inneren Raum denn zu einem weiten Panorama werden lässt. Romantisch ist auch
die Funktion der Wolken. Deren rascher Wechsel steht im Kontrast zur Erdigkeit der Landschaft; in
den Wolken spielt das Licht. Es war genau dies was wiederum Friederich, aber auch dessen
Zeitgenossen Carl Belchen inter
essierte, der eine ganze Reihe von Wolkenstudien machte , ein Genre, das auch bei Pérez zum
Oeuvre gehört. Weiter denkt man auch – ohne dass das die Eigenständigkeit von Pérez's Werk
schmälern würde – an die ganze weitere Tradition der Landschaftsmalerei des 19. Jahrhunderts, von
Gustave Courbet über Jean-Baptiste Camille Corot
und die Schule von Barbizon, in der die Freilichtmalerei zum Programm wurde.
Eine weitere kunsthistorische Assoziation führt zurück in die Schweiz, an den Wohnort von Mario
Pérez. Es gibt bei ihm nämlich da und dort Lichtstimmungen und -führungen, es gibt bei ihm
einzelne Baumdarstellungen, die entfernt an die Gemälde von Robert Zünd zu erinnern vermögen.
Und damit wäre ein gewagter Bogen nach Burgdorf geschlagen: zu Franz Gertsch.
Text im Ausstellungskatalog der Ausstellung:
„1,2,3,4 kolumbianische Maler in der Schweiz“
Franz Gertsch Museum, Burgdorf, 2008
Leer ....
Kosmische Gegenwart
Mauricio Cruz – Bogotá, 2011
In direkter Deszendenz zu den Bildern seines Vaters richtet Mario Pérez den Blick auf die Dinge
zwischen Sternen und Steinen, auf die Landschaft, die ihm und seiner Palette vertraut ist:
die flüchtigen Schriftzüge der Wolken, das Bündnis des Windes mit den Bäumen, die einprägsame
Wahrnehmung der Farben, die geheimnisvolle Bindung zwischen den Dingen, das Spiel des
Lichtes über den Furchen der Berge, die atmosphärischen Schwingungen: die Wiedererstehung
der Zeit, die sich wie das Wasser ständig kreisend erneuert, kurz, das Schauspiel der Schöpfung,
ohne den Menschen. Wie ein Dichter, der es vorzieht, das Paradies vor Augen zu haben, im
Gegensatz zu Malern wie Lucian Freud, der nicht anders konnte, als den nackten Körper des
Menschen mit all seinen Rätseln und in seiner Misere zu verewigen.
Kolumbien (Villa de Leyva) und die Schweiz (Sala Capriasca), zwei gebirgige Orte, die er nicht
nur malt, sondern auch dort lebend erfährt. Ursprünglich von der eigentlichen Tradition der
Landschaftsmalerei in Kolumbien herkommend, der „Escuela de la Sabana“, die ihm sein Vater
vermittelt und die er in frühen Jahren auch durch die Landschaft Boyacas in sich aufnimmt.
Dann die Uebersiedlung nach Europa, Orte und Museen: Caspar David Friederich als wichtigster
Impuls, Alexandre Calame, Caspar Wolf, Ferdinand Hodler, die Mystik der romantischen
Landschaftsmalerei in Deutschland, aber auch seine Beziehung zum Naturalismus der Schule von
Barbizon: Daubigny, Rousseau, Constable (expressive Himmelsstudien), Corot; und natürlich
Courbet mit seinem vitalen und manchmal alegorischen Realismus. Auch das 20. Jahrhundert
fliesst auf andere Weise mit ein: Chillida und Joseph Beuys, ein Spanier und ein Deutscher,
beides Plastiker, die der Natur in ihren Werken ertastbare, wenn auch abstrakte Dimensionen
verliehen. Tatsächlich verbindet alle eine gewisse Wesensverwandtschaft, denn für Mario
bedeutet malen, die Dinge zu berühren, sie klar zu benennen, ihre Materialität herüberzubringen,
direkt, ohne Methapher.
In seinen neueren Werken gibt es eine bedeutsame Wendung, sowohl technisch als auch thematisch.
Sein Blick senkt sich vom Horizont der Panorama-Ansichten und bleibt in der Nähe, wendet sich
Wasser, Steinen und Blattwerk zu: dem Bach, der sich zwischen Gesteinsbrocken hinunter windet
wie eine lichtfunkelnde Schlange, die sich tosend einen Weg sucht, um sich über Steine in ein
ruhiges Becken zu ergiessen, umgeben von grossen, massiven Steinen mit eigentümlichen,
anthropomorphen Formen, und über dem sandigen, siena- und ockerfarbigen Grund spiegelt sich
der Himmel in der Wasseroberfläche.
Und da sich die Thematik nun gänzlich dem Wasser zuwendet, entstehen Werke vom Meer:
Wolken über Wassermassen und Gischt, blau über blau, das Meer jedoch kann seinen Horizont
nicht verlassen...
Das Motiv des bewegten Wassers überträgt sich auch auf die Oberfläche des Gemäldes. Das
Fliessen des Baches und die suggestive „Rorschach“-Form des Laubes geben dem Pinsel seine
Bestimmung, er wird expressiver und drängender. Das Bild hat ein neues Format, nimmt einen
anderen Raum ein; das Malen im Freien wird zu einer direkten Auseinandersetzung mit den
Elementen. Die vormals meditative Weite der Bilder, die an Friederich erinnert, hat sich in eine
ganz persönliche Malerei der verborgenen Orte verwandelt.
„Die Forelle“ von Courbet? Dieses so unmittelbare und doch rätselhafte Bild. - Die Serie
mit den Fischen, die wie Sinnbilder im Raum schweben, scheint darauf hinzuweisen. Fische,
die sich Grotten, Spalten und Quellen nähern, oder dem „Ursprung der Welt“ (auch dieses Werk
ist von Courbet; ein elementares Sinnbild und deshalb tabu). In diesen Sphären findet das
Unbewusste Raum, eine verborgene Symbolik zu ergründen.
Somit zeigen sich zuerst: die ziehenden Wolken in den Farben der Tageszeiten; der Nebel: die
feuchten Grautöne, das Spiel der goldenen oder bleiernen Schwaden in der Atmosphäre; die
steinigen Wüsten, der Umriss der Berge, darin eingebettet in sich ruhende Dörfer. - Und
jetzt, aus der Nähe: die funkelnden Wasserkristalle, Steine mit amorphen Formen, das Wasser als
Spiegel. Unser Blick kehrt (wie der Lachs) zurück zu den Quellen
Leer ....